»Kunst, Design und Handwerk stehen einander unversöhnlich gegenüber.«
Ist es eine deutsche Eigenart oder greift der Klassifizierungswunsch auch anderswo Raum, wenn sich Künstler, Gestalter und (Kunst-)Handwerker zwar in ihren Ausdrucksformen überschneiden und einander befruchten, jedoch aus Selbstbehauptungsgründen, auf einem unbegrenzten Markt mit kurzen, dem Zeitgeist gehorchenden Produktzyklen, zueinander in Opposition treten?
Unbegründet, denn sie befassen sich gleichermaßen mit Ästhetik. Und damit ist nicht das „Schöne“ gemeint, sondern, abgeleitet vom griechischen „aisthesis“, die Wahrnehmung, das Empfinden und die Erkenntnis, die in schöpferisches Handeln münden.
Grundlage dieses Handelns / unserer Kreativität, ist die menschliche Intelligenz, die das Bedürfnis weckt, Werkzeuge zu schaffen und zu gebrauchen, Dinge zu erzeugen, die wir in allen Ebenen unserer Bedürfnis-Hierarchie benutzen, Emotionen auszulösen, zu speichern und zu transportieren, Innovationen hervorzubringen, Identität zu stiften, und Grenzen auszuloten. Gleichzeitig konnte sie sich nur so entwickeln, weil wir es lernten, Erfahrungen durch produktives und ästhetisches Handeln über Generationen weiterzugeben.
Kreative Prozesse leben von Zufall und Improvisation. Sie ermöglichen im Gegensatz zu den derzeit programmierbaren Algorithmen der digitalen Welt, unvorhersehbare Ergebnisse und damit mehr Variantenreichtum und Entwicklungsanstoß.
Handwerk – händisches Arbeiten, Design – Entwerfen, Gedanken in Form übersetzen und Kunst – Emotionen erzeugen, Fragen aufwerfen, Grenzen verschieben – sind kreativer Ausdruck menschlichen Verhaltens und Grundlage einer humanen Gesellschaft.
Neurowissenschaftliche Studien liefern Belege dafür, dass die Auseinandersetzung mit ästhetischen Zusammenhängen zahlreiche positive Effekte auf unser geistiges und körperliches Befinden hat und nicht etwa als „weiches Fach“ des öffentlichen Bildungsangebotes keinen großen gesellschaftlichen Nutzen generiert.
Künstler, Handwerker und Designer liefern einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Miteinander, wenn ihre Arbeitsergebnisse nicht nur funktional, schön, befriedigend, innovativ, expressiv, inspirierend, wertig, unterhaltend, bildend, konservierend… unseren Alltag bereichern, sondern auch eine übergeordnete Bedeutung im Bildungssystem einnähmen:
Der kreative Gebrauch des Geistes, der eigenen Hände, etwas Funktionales, Nützliches, Eigenes oder Anmutiges zu erschaffen, wiederherzustellen und zu erhalten – und der gemeinschaftliche, empathische Austausch über ästhetische Konzepte und die Umsetzung dieser, versetzte uns in die Lage, Sinn und Bedeutung zu stiften, Werte zu entwickeln und zu verteidigen, Neues zu akzeptieren und kulturelle Vielfalt zu schätzen und damit auch einer fortschreitenden Digitalisierung unserer Arbeitswelt standzuhalten.
Ich lade Sie herzlich ein, Austausch über ästhetische Aspekte unserer Lebenswelt zu üben, Selbstwirksamkeit durch praktische Arbeit und Improvisation zu erproben, den Wert des Handwerks im Zeitalter des »Dataismus« zu ermessen und den echten Zufall als unabdingbaren Entwicklungsreiz zu vergegenwärtigen, der, in einer auf 0 und 1 heruntergebrochenen Welt, zu verschwinden droht.